Wort des Tages – Die schreiende Menge

Wort des Tages – Die schreiende Menge

Viele Menschen breiteten ihre Kleider auf der Straße aus, andere schnitten Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Leute aber, die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen: Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe! (Mt 21, 8-9)

Inzwischen überredeten die Hohepriester und die Ältesten die Menge, die Freilassung des Barabbas zu fordern, Jesus aber hinrichten zu lassen. Der Statthalter fragte sie: Wen von beiden soll ich freilassen? Sie riefen: Barabbas! Pilatus sagte zu ihnen: Was soll ich dann mit Jesus tun, den man den Messias nennt? Da schrieen sie alle: Ans Kreuz mit ihm! Er erwiderte: Was für ein Verbrechen hat er denn begangen? Da schrieen sie noch lauter: Ans Kreuz mit ihm! (Mt 27, 20-23)

Ist es nicht bemerkenswert, wie sich die Stimmung in Jerusalem innerhalb kurzer Zeit verändert hat? Am Palmsonntag, beim Einzug Jesu in Jerusalem wird Jesus noch mit Hosanna-Rufen empfangen und es werden ihm Ehrerbietungen zuteil und wenige Tage später schreit der wütende, aufgestachelte Mob „Ans Kreuz mit ihm, ans Kreuz mit ihm!“ und verfolgt voll Sensationsgier den Todeskampf Jesu.

Während der Jubel beim Einzug Jesu in Jerusalem wohl noch mit der Hoffnung auf politische Umwälzungen verbunden war, ja sich einige einen kriegerischen Messias erwarteten, der die Römer aus dem Land treibt, wurde spätestens bei der Verhaftung Jesu klar, dass diese Hoffnungen sich nicht erfüllen würden.  Niemand wollte dann mehr mit diesem offensichtlichen Verlierer zu tun haben. Schwäche reizte schon damals die Gemüter nicht zur Milde, sondern zur Aggression gegenüber dem Schwachen.

Die Menge wird von ihren Emotionen hin und her gerissen, es ist eine Hochschaubahn der Gefühle. Euphorische Freude wechselt in blanken Hass, weil die Erwartungen enttäuscht werden. Doch hat Jesus falsche Erwartungen geschürt? Oder hat die Menge vielleicht seine Botschaft gar nicht richtig wahrgenommen, nur gehört, was sie hören wollte, hineininterpretiert, was nach dem eigenen Willen zu geschehen hat? Möglicherweise war es aber auch gerade umgekehrt: Die Leute haben genau hingehört und die unbequemen und herausfordernden Worte Jesus gingen ihnen auf die Nerven. Vielleicht war es ihnen lieber, dieser Störenfried würde endlich zum Schweigen gebracht.

Es gibt allerdings noch eine Möglichkeit, das Verhalten der Masse in Jerusalem zu verstehen:  In oben zitierter Bibelstelle heißt es, dass die Schriftgelehrten, die Massen überredeten, den Tod Jesu zu fordern. Es scheint, dass sie sich gar nicht so viele Gedanken gemacht, vielleicht gar keine eigene Meinung gebildet haben. Sie waren offensichtlich nicht schwer zu beeinflussen. Vermutlich hat es schon genügt, dass die Schriftgelehrten und Hohepriester einige Schreier anstifteten „Ans Kreuz mit ihm!“ zu rufen, und sofort heulte die Masse mit den Wölfen. Die Menschen merkten nicht, dass sie von den Pharisäern und dem Hohen Rat für dessen Ziele missbraucht wurden.  So schwammen sie mit dem Strom, dessen Richtung sie mit etwas mehr Mut, Eigenständigkeit und echter Suche nach Wahrheit selbst hätten bestimmen können. Sie wurden zu Verführten und damit zu Werkzeugen des Bösen.

Die Masse am Karfreitag mahnt uns, ehrlich die Wahrheit zu suchen, sich nicht auf Gerüchte zu verlassen, immer das direkte Gespräch zu suchen,  die zweite Seite zu hören und alles gut zu prüfen. Die Wahrheit macht frei, die Lüge versklavt.