Wort des Tages- Die Pharisäer und Schriftgelehrten
Um die gleiche Zeit versammelten sich die Hohepriester und die Ältesten des Volkes im Palast des Hohenpriesters, der Kajaphas hieß, und beschlossen, Jesus mit List in ihre Gewalt zu bringen und zu töten. (Mt 26, 3-4)
Da wandte sich der Hohepriester nochmals an ihn und fragte: Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten? Jesus sagte: Ich bin es. Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten Gottes sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen. Da zerriss der Hohepriester sein Gewand und rief: Wozu brauchen wir noch Zeugen? Ihr habt die Gotteslästerung gehört. Was ist eure Meinung? Und sie fällten einstimmig das Urteil: Er ist schuldig und muss sterben. (Mk 14, 61b-64)
Den Hohenpriestern und Schriftgelehrten ist Jesus ein Dorn im Auge. Er stellt sie in Frage. Mit ihren zweideutigen und listigen Fragen können sie ihm nicht beikommen. Es geht jedoch um weit mehr als um inhaltliche Differenzen, wenn auch das endgültige Urteil des Hohen Rates auf Gotteslästerung lautet. Seine Popularität im Volk macht ihnen Angst. Was, wenn die Menschen mehr auf Jesus hören als auf den Hohen Rat? Welche Macht haben die Ältesten dann noch? Und was, wenn die Anhänger Jesu tatsächlich einen Aufstand gegen die Römer anzetteln? Längst haben sich die Mächtigen im Volk Israel mit der römischen Besatzungsmacht arrangiert. Ein Aufstand im Volk würde sie womöglich ihre Privilegien kosten, das wollen sie nicht riskieren. Sie befürchteten, dass durch die Zeichen und Reden Jesu viele Menschen zum Glauben an ihn kommen könnten und sie ihre Vormachtstellung verlieren würden. Im Johannesevangelium sagt der Hohepriester Kajaphas, dass es besser sei, wenn ein einziger Mensch für das Volk sterbe, als wenn das ganze Volk zugrunde gehe. Dabei liegt ihm das Volk offensichtlich deshalb am Herzen, weil es die Erhaltung seines Amtes gewährleistet.
Man kann es fast nicht verstehen: Arme, ungebildete Fischer aus Galiläa, ja selbst einzelne Heiden erkennen in Jesus ihren Erlöser. Doch die Pharisäer und Hohenpriester, die von Amts wegen die heiligen Schriften studieren, die die Schriftworte, die Jesus immer wieder auf sich bezieht, in und auswendig können, haben ihr Herz so verhärtet, dass sie den Messias nicht erkennen können oder wollen. Sie, die von Berufswegen über Gott sprechen, erkennen ihn nicht, als er vor ihnen steht. Ihr Hochmut hat sie taub und blind gemacht für das Evangelium. Die Sorge um ihre Stellungen ist größer als ihre Sorge um die Wahrheit.
An den Äußerlichkeiten, den Gesetzesvorschriften, an dem was Brauch ist, halten sie erbittert fest, und kritisieren in diesem Zusammenhang auch öfters die Jünger Jesu und sogar Jesus selbst. Vielleicht beneiden sie Jesus auch um seinen Sanftmut und zugleich seinen Eifer für das Reich Gottes, um seine Liebe zu Gott und den Menschen, die in ihren Herzen erloschen oder zumindest verschüttet ist.
Wenn es heißt, die Hohenpriester hätten Jesus mit List in ihre Gewalt gebracht, so ist das nicht ein Hinweis auf ihre besondere Klugheit, sondern ein Zeichen ihrer Feigheit. Jesus hatte überall öffentlich gesprochen, doch aus Furcht vor den Menschen, hatten sie nicht gewagt, ihm etwas anzutun. Im direkten Gespräch mit Jesus zogen sie immer den Kürzeren. Deshalb versuchen sie, Jesus bei den Leuten hinten herum anzuschwärzen, durch Gerüchte, falsche Behauptungen usw. Sie schrecken wirklich vor nichts zurück: Einen von den Jüngern bestechen sie mit Geld, in einer Nacht- und Nebelaktion lassen sie Jesus verhaften, beim Verhör bieten sie falsche Zeugen auf und als Pilatus in seiner Entscheidung schwankt, stacheln sie die Menge dazu auf, den Kreuzestod Jesu zu fordern und ausgerechnet sie – die die Römer zutiefst verachten – werfen dem Statthalter vor, kein Freund des Kaisers zu sein, wenn er den Aufstand um den Nazarener nicht im Keim ersticke.
Warum sind die Pharisäer und die Schriftgelehrten so verlogen, falsch, hinterlistig und zynisch gegenüber Jesus? Dafür gibt es einen geistlichen Erklärungsversuch. Weil sie ganz nahe am Heiligtum waren und sich doch nicht ganz für Gott entschieden. Von diesem Nein sind sie gezeichnet. Darin liegt die Erklärung, warum heute nicht selten die boshaftesten und gemeinsten Vorwürfe an die Kirche oder den Papst aus den eigenen Reihen kommen, von Leuten, die einer Berufung nicht gefolgt sind oder von Leuten, die als Berufene hohe Stellen bekleiden, aber doch den Schritt zur Ganzhingabe verweigern.