Wort des Tages – Ihr seid zur Freiheit der Kinder Gottes berufen

Wort des Tages – Ihr seid zur Freiheit der Kinder Gottes berufen

     Heiliger Leonhard, bitte für uns!!!!

Am Samstag haben wir in Thurnbach das Patrozinium des Heiligen Leonhard gefeiert. Dieser Heilige wird im Alpenraum von sehr vielen Gläubigen verehrt, vor allem als Patron der Haustiere. Er wird auch sehr oft mit einer Kette dargestellt. Zur Kette und zu diesem Patronat kam der Heilige Leonhard, weil er viele Gefangene besuchte und auch befreite. So ist er auch Patron der Gefangenen und wir könnten ergänzen, ein Anwalt der Freiheit der Kinder Gottes.

Thurnbach ist die älteste Kirche unserer Pfarre und gehört mit Fügen und dem Kirchturm von Zell zu den ältesten Sakralbauten des Zillertales. Die Kirche wurde 1492, im selben Jahr, in dem Amerika entdeckt und das Stieglbier in Salzburg erfunden wurde, errichtet und in den Neunzigerjahren unter Pfarrer Paul Öttl mit bewundernswertem Einsatz renoviert.

Gegenwärtig erleben wir Freiheitseinschränkungen, die in dieser Dramatik wohl nie in der Geschichte vorgekommen sind. Sehr viele Menschen leiden gegenwärtig an Ausgrenzung, medialer Hetze und unter dem ungerechten Druck des drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes. Das ist auch ein Grund, über die Freiheit nachzudenken.

Am Nationalfeiertag habe ich an die Bedeutung Polens erinnert für die Freiheit Europas (König Sobieski 1683 bei der Befreiung Wiens, der Pole Johannes Paul II. bei der Einleitung des Niederganges des Kommunismus im Osten, die gegenwärtigen Bemühungen Polens um die Wahrung der nationalen Freiheit gegenüber einem EU-Überstaat). Ein lieber polnischer Mitbruder, der eine Dissertation über Kirche und Kommunismus in Polen schreibt, hat mir zu diesem Thema einige interessante Sätze über die Bedeutung der Freiheit und die Unterscheidung von innerer und äußerer Freiheit übermittelt, die ich jetzt verwenden bzw. einbauen möchte.

Die Freiheit eines Landes:

Johannes Paul II. erklärte bei der UN-Vollversammlung im Jahre 1991, dass der Patriotismus eine anständige Liebe zum eigenen Land sei. Deshalb verfolgt ein wahrer Patriot niemals das Wohl seiner eigenen Nation auf Kosten anderer. Der Nationalismus, der die Verachtung für andere Völker und Kulturen voraussetzt, ist die Antithese des wahren Patriotismus.

Der polnische Priester Jerzy Popiełuszko, der von den Kommunisten grausam umgebracht und inzwischen heiliggesprochen wurde, erklärte mit aller Deutlichkeit, dass nur eine Nation, deren Menschen innerlich frei und gefestigt sind und die Wahrheit lieben, ihre Identität bewahren kann. Nur eine Nation, deren Menschen einen gesunden Geist und ein aufrechtes Gewissen bewahrt haben, kann ihre Chancen zur wahren Freiheit erkennen. Nur eine Nation, welche ihre Zukunft auf der Geschichte und Kultur der vergangenen Jahrhunderte aufbaut, ist in der Lage, sich großen Herausforderungen zu stellen. In seiner Predigt vom 25. September 1983 zeigte Popiełuszko deutlich auf, wie kontraproduktiv dieser Verlust der eigenen Identität ist, welch unerwartete Folgen die Verleugnung der eigenen Kultur nach sich zieht. Eine Nation, welche ihrer Kultur abschwört, sie verleugnet, verleugnet ihre ureigenen Wurzeln und erleidet einen unersetzbaren ideellen Verlust. 

Was bedeutet Freiheit?

Johannes Paul II. erklärte, dass die Freiheit, welche der Mensch von seinem Schöpfer in die Wiege gelegt bekommen hat, als Maßstab für die Würde des Menschen angesehen werden muss. Die Freiheit ist untrennbar mit seinem Leben verbunden und keine Kraft und kein Zwang von außen dürfen sie ihm streitig machen. Sie ist ein Grundrecht des Menschen als Individuum und als Mitglied der Gemeinschaft. Der Mensch ist auch deshalb frei, weil er die Fähigkeit besitzt, in seinem Tun zwischen dem, was er als gut und dem, was er als böse erachtet, wählen kann. Frei zu sein bedeutet also, dass man individuell eine Wahl treffen und nach seinem Gewissen sein Leben gestalten kann.  Authentische Freiheit besteht jedoch nicht darin, dass der Mensch seine Entscheidungen nach Belieben treffen kann. Auf der Suche nach dem Guten darf der Mensch den Zusammenhang zur universellen Wahrheit nicht außer Acht lassen. Der Kaplan der „Solidarność“ Jerzy Popieluszko interpretierte die Freiheit als eine Realität, die der Mensch geschenkt bekommen hat, als er nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffen wurde. Die Freiheit ist aber eine Gabe und gleichzeitig Aufgabe, also Geschenk und Auftrag. Wenn der Mensch eines Tages seine irdische Reise beendet hat und Gott gegenüberstehen wird, muss er Rechenschaft darüber ablegen, wie er diese Gabe genutzt hat.  

Innere und äußere Freiheit

Jerzy Popiełuszko unterschied auch klar zwischen innerer und äußerer Freiheit. Erstere steht in engem Zusammenhang mit der Wahrheit und dem Leben nach dem eigenen Gewissen. Frei zu sein bedeutet also, in der Wahrheit und gemäß dem eigenen Gewissen zu leben. Die äußere Freiheit bezog Jerzy in erster Linie auf die gerade herrschende politische Situation in Polen, als die Menschen unter der ihnen aufgezwungenen Unfreiheit litten. Er sah die äußere Freiheit als ein Ideal im öffentlichen Leben, denn die Hoffnung, sie zur Zeit des Kriegszustandes zu erringen, war in weite Ferne gerückt. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Mensch ohne Wahrheit sich in einem Zustand innerer Versklavung befindet. Wenn die Wahrheit der Herrschaft der Lüge unterliegt, scheut sich der Mensch, die Unwahrheit aufzudecken. Um frei zu bleiben, ist es unumgänglich, dem Ruf nach Wahrheit zu folgen, und den mutigen Schritt zu wagen, den Weg der Wahrheit einzuschlagen, der direkt zur Freiheit führt. Ein Mensch, der auch unter Bedingungen äußerer Versklavung die Wahrheit bezeugt, fühlt sich innerlich frei. Die äußere, in diesem Fall politische Freiheit soll in weiterer Folge das Ergebnis der Freiheit des Geistes und der Treue zur Wahrheit sein. Die Bedingung für die Wahrung der Menschenwürde ist der Erhalt der inneren Freiheit, selbst wenn der Mensch durch Gewalt seiner äußeren Freiheit beraubt wird. Diese Unterscheidung war in der Zeit des Kriegsrechts besonders wichtig. Obwohl die Polen als Nation unter der äußeren Versklavung litten, hatten die Bürger die Möglichkeit, ihre innere Freiheit durch die Treue zu ihrem Gewissen und zum Glauben zu bewahren. Sich nur von Ungerechtigkeit, Angst, Zwang und Leid zu befreien wäre die Mühe nicht wert, wenn sich der Mensch im Innersten seines Herzens als Sklave fühlte und seine innere Freiheit nicht bewahren würde. 

Die Kinder Gottes sind zur Freiheit berufen

Die Christen und alle Menschen guten Willens sind berufen, die innere Freiheit zu fördern, zu ermöglichen und mutig zu leben. Dazu gehört die aufrichtige und selbstlose Suche nach Wahrheit und ein Leben in der Wahrheit. Für mich ist eine Aussage des Apostels Paulus im zweiten Thessalonicherbrief eine Schlüsselstelle für das Verständnis heutiger Entwicklungen. Paulus schreibt davon, dass am Ende der Zeiten der gesetzwidrige Mensch sichtbar werden wird. Dieser, so schreibt Paulus „wird alle, die verloren gehen, betrügen und zur Ungerechtigkeit verführen; sie gehen verloren, weil sie sich der Liebe zur Wahrheit verschlossen haben, durch die sie gerettet werden sollten. Darum lässt Gott sie der Macht des Irrtums verfallen, sodass sie der Lüge glauben.“

Wir sind momentan auf dem Weg in eine Diktatur, der dramatische Formen annimmt und ungeahnte Folgen haben kann.

–          Es ist schlimm, wenn es Menschen gibt, die Böses planen und ausführen wie unberechtigte Zwangsmaßnahmen, Spaltung der Bevölkerung, Wegsperren der Alten, Missbrauch der Kinder etc. Aber das hat es immer gegeben, weil es das Böse und die Erbsünde gibt.

–          Noch schlimmer ist, dass es sehr, sehr viele Menschen gibt, die Unrecht ermöglichen weil sie „nur ihre Pflicht tun“. 

–          Ein noch größerer Skandal ist es, wenn Vertreter von Religionen, die ein prophetisches Amt innehätten, statt die Freiheit und die Menschen zu verteidigen, das Unrecht moralisierend verteidigen und dadurch verstärken.

–          Am tragischsten ist es jedoch, wenn wir mitspielen, indem wir die innere Freiheit preisgeben.

Wir, jeder von uns Christen, jeder Mensch guten Willens, stehen jetzt vor der Wahl: Freiheit oder Sklaverei. Die innere Freiheit kann einem niemand nehmen. Wenn wir die Wahrheit lieben, dem Gewissen folgen, Unrecht nicht mitvollziehen, dem Druck widerstehen, der Spaltung entgegenwirken und uns nicht korrumpieren lassen, dann müssen wir momentan vielleicht äußere Unfreiheiten (Diffamierung, Ausgrenzung bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes) in Kauf nehmen. Jene, die diesen Weg der inneren Freiheit gegangen sind wie der Priester Jerzy Popiełuszko, haben den Grund gelegt für die später folgende äußere Freiheit eines Landes. Jene, die die innere Freiheit der äußeren Freiheit geopfert haben, haben den Weg zur Diktatur geebnet und sind dann trotz ihres Mittuns auch bei der äußeren Unfreiheit gelandet.

Ich möchte euch alle ermutigen, nach innerer Freiheit zu streben, aufrichtig nach der Wahrheit zu suchen, sich nicht von Lügen und Druck beugen zu lassen. Wenn ihr die innere Freiheit bewahrt oder zu ihr zurückkehrt, dann habt ihr eine innere Würde und auch eine Freude, die euch niemand nehmen kann. Ihr werdet dann verstehen, was Jesus mit den Seligpreisungen gemeint hat und mitten in dramatischen Zeitvorgängen schon jetzt etwas von dieser Seligkeit erfahren. Ihr werdet damit den Grund legen, Demokratie, Rechtsstaat und Freiheit zu bewahren oder wiederzuerlangen.

Jedes Mal, wenn ihr mutig zur Wahrheit steht, dann wird euch der Herr eine Gnade (göttliche Kraft, innere Stärkung) geben. Auf diese Weise kann jeder von euch jeden Tag innerlich freier und stärker werden. In jedem von euch steckt die Möglichkeit, ein freier Mensch, ein Bekenner, ein Heiliger und sogar ein Märtyrer zu werden. Wenn wir die innere Freiheit bewahren oder wieder erringen, werden (gleich oder später als Folge davon) äußere Freiheiten als Geschenk dazugegeben werden. Wenn wir die innere Freiheit verspielen, werden die äußern Zwänge und Unfreiheiten zunehmen und dramatische Formen annehmen und am Ende alle, auch die Täter und Mitläufer in Mitleidenschaft ziehen.

Es gibt eine philosophische Erkenntnis. Die Wahrheit hat ein Sein, die Lüge nicht. Am Ende wird und kann nur die Wahrheit siegen. Jesus sagt: Die Wahrheit wird euch freimachen. Heiliger Leonhard, Patron der Gefangenen,  Anwalt der Freiheit, geistlicher Führer auf dem Weg der Heiligkeit. Bitte für uns!

Am Schluss etwas ganz Persönliches. Ich bin als Pfarrer für alle Menschen da. Ich frage z. B. nie jemanden, welcher Partei er angehört oder ob er geimpft ist oder nicht. In den letzten Monaten habe ich auch sehr viele Fernstehende und auch Ausgetretene kennengelernt, die sich auf Grund verschiedener Sorgen an mich gewandt haben. Ich merke, dass fast alle Menschen unter der gegenwärtigen Spaltung leiden und sehnsüchtig auf klärende, ermutigende, die Menschen und die Freiheit schützende Stellungnahmen warten. Die  gegenwärtige Spaltung geht mitten in die Familien hinein. Ich möchte für euch alle offen sein nach dem Motto Jesu: Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Jeder ist jederzeit willkommen zu einem Gespräch, ein Anruf genügt. Bitte nützt in dieser Zeit die geistlichen Mittel wie die Anbetung, das Gebet, die Heiligen Messen, die Rosenkränze und das Lesen in der Heiligen Schrift. Ohne Umkehr, ohne Gebet und ohne die geistlichen Mittel könnten wir in einen tiefen Abgrund schlittern.

Ich möchte zum Thema Spaltung einen eigenen Beitrag schreiben und konkrete Möglichkeiten aufzeigen, wie wir Spaltungen überwinden, Aversionen abbauen und Freundschaften über verschiedene Grenzen hinweg halten oder sogar schließen können. Vorweg sei nur gesagt, man soll den Andersdenkenden niemals als Gegner betrachten. Wenn man einen Gegner „braucht“, dann soll man ihn dort erkennen, wo bewusst und mit Kalkül die Bevölkerung gespalten wird, um sie zu beherrschen (divide et impera). Ein erlöster Christ braucht keinen Sündenbock. Ein Christ erkennt die eigenen Sünden und gibt sie beim Herrn ab und er leistet Sühne für die eigenen und die Sünden anderer. Nur durch die Liebe kann man Spaltung und Hass überwinden!

Ich möchte mit einem gerade in dieser Zeit vielleicht hilfreichen Ausspruch des heutigen Tagesheiligen, Papst Leo dem Großen (440-461) schließen: „Welchen Nutzen oder Vorteil sollte es uns bringen, wenn wir unablässig unsere Gedanken auf solche Dinge richten, die wir verlassen müssen. Es ist weit vernünftiger, unsere Liebe den Dingen zuzuwenden, die ewig währen.“

Euer Seelsorger

Ignaz Steinwender