Wort des Tages – Herr, ich möchte sehen können

Wort des Tages – Herr, ich möchte sehen können

Herr, ich möchte sehen können!

Im heutigen Evangelium heilt Jesus zwei Blinde. Es kommt zur Heilung, weil diese beiden zu Jesus schreien. „Hab Erbarmen mit uns, Sohn Davids!“. Auf die Frage Jesu, ob sie glauben, dass er ihnen helfen kann, antworten sie mit „Ja, Herr!“ (vgl Mt 9,27-31).

Dann und wohl deshalb gibt Jesus ihnen das Augenlicht wieder indem er sie berührt und sagt: „Wie ihr geglaubt habt, so soll es geschehen.“

Bei dieser Stelle können wir auch nachdenken über eine andere Blindheit, über die geistige und geistliche Blindheit. Es gibt verschiedene Formen davon. Ein Mensch sieht nicht, was er hat und vergisst zu danken. Ein Mensch sieht nicht, was wirklich vor sich geht in der Welt, weil der dem Leid anderer verschlossen bleibt. Ein Mensch verliert sein Ziel aus den Augen. Jemand erkennt sich selbst nicht mehr, seine Würde, seine Berufung, seine Bestimmung. Am blindesten sind vielleicht jene, die glauben, zu sehen, die meinen, sie wüssten alles. Dann kommt das Phänomen dazu, dass Blinde Blinde führen, dass viele, die berufen sind, zu führen, selbst wenig Licht haben. Die geistliche Blindheit kann dazu führen, dass der Mensch an seinem Leben vorbeilebt, dass er sozusagen das Eigentliche, das Ziel verfehlt.

Ursachen der Geistesblindheit:

Eine Ursache einer geistigen Blindheit ist der Egoismus. Der Mensch, der auf sich fixiert ist, sieht die Wirklichkeit nur von seinem Ich aus, damit ist er ichbezogen, d. h. eingeschränkt. Er sieht irgendwie nur das, was er aus dem begrenzten Ich heraus sehen kann, oder eben nur das, was er sehen will, sein Sehen ist durch egoistische Wünsche eingeschränkt. Dazu gehört auch der Stolz, das Recht haben müssen, dass dem Menschen den Zugang zu tieferen Erkenntnissen versperrt.

Die geistige Blindheit kommt auch vom Glaubensmangel. Wenn der Mensch Gott nicht kennt, dann fehlt ihm das höhere Licht. Mit dem Herzen sieht der Mensch mehr. Wenn sich der Mensch mit Gott verbindet, dann wird sein Geist erleuchtet. Er kann im Lichte Gottes mehr sehen, mehr verstehen, sich selbst erkennen und sich freuen an der Wahrheit, die er als Geschenk erleben darf.

So wird deutlich, dass die Hauptursache der geistigen Blindheit die Sünde ist, die Getrenntheit von Gott.

Erkenntnis macht frei:

Wir erleben heute eine große Verwirrung. Viele Menschen möchten das Gute tun, aber sie wissen nicht, was sie glauben sollen. Sie tun sich schwer mit Entscheidungen, weil es so viele verschiedene und gegensätzliche Meinungen gibt. Besonders schwierig wird es, wenn mit moralisierenden Drohungen Verhaltensweisen eingefordert werden.

Die Erkenntnis macht frei. Die klare Erkenntnis über unsere Herkunft, dass wir Geschöpfe Gottes sind, die Erkenntnis über unser Ziel und auch die Erkenntnis über den Weg und die Mittel, die uns helfen, den Weg zu gehen, all das macht uns frei, froh und stärkt uns auf dem Weg. Wenn ein Mensch z. B. erkennt, was zum Heil der Seele wichtig ist und diesen Weg beschreitet, dann kann er in vielen menschlichen Dingen gelassener sein und unbeeindruckt von vielen Unkenrufen seinem Gewissen folgen und mutig gegen den Strom schwimmen.

Unsere Erkenntnis  ist Stückwerk

Dabei müssen wir auch bedenken, dass unsere Erkenntnisfähigkeit in dieser Welt begrenzt ist. So sagte der Apostel Paulus den Korinthern (1 Kor 13) im Anschluss an das Hohelied der Liebe: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehn nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin.“  Trotz des Glaubens, trotz der Bemühung um Heiligkeit können wir in dieser Welt nicht alle Geheimnisse erkennen. Wir gehen, wie der Apostel Paulus sagt, als Glaubende den Weg, nicht als Schauende.

Die Grabinschrift von Kardinal Newman, die dieser in seinem Testament verfügt hat, weist auch darauf hin. Sie heißt „Ex umbris et imaginibus in veritatem“, d. h. aus Schatten und Bildern zur Wahrheit. Dies Worte sind wahrscheinlich eine Anlehnung an die Trauerrede, die der Heilige Ambrosius von Mailand auf seinen verstorbenen Bruder Satyrus hielt, wo er sagte „Wir finden den Schatten im Gesetz, das Bild im Evangelium, die Wahrheit im Gericht.“ Dies bedeutet, dass wir die endgültige Fülle der Wahrheit, der wir uns in dieser Welt durch den Glauben schon nähern können,  erst nach dem Tod finden, wenn wir vor das Angesicht Gottes treten. Wenn wir diese Dinge bedenken, dann kann uns eine gewisse Sehnsucht erfüllen, die sogar noch größer und von freudiger Erwartung geprägt sein kann, je mehr wir uns schon jetzt der Wahrheit nähern und sehend werden.

Herr, mache mich sehend!

Viele von Euch haben einen Adventkranz zu Hause. Das Licht der Kerzen erinnert uns daran, dass Christus, das Licht der Welt, Mensch geworden ist. Das Licht dieser Kerzen soll uns ermutigen, immer wieder zum Herrn zu gehen mit den Worten: Herr, hab Erbarmen mit mir, mache mich sehend. Lass mich in Deinem Lichte sein. In diese Bitte sollen wir den Wunsch einschließen: Herr, befreie mich von meinem Egoismus, befreie mich von allem Stolz, hilf mir, den Weg der Heiligkeit zu gehen und schenke mir einen starken Glauben, damit Du meine Blindheit heilen kannst.

Der Advent ist ein Weg auf Weihnachten zu. Die vier Kerzen mögen uns helfen, dass dieser Weg ein Weg der Erkenntnis sei, ein Weg des inneren Wachstums, ein Weg des freudigen dem Herrn Entgegengehens.

Das wünsche ich Euch und mir

Euer Pfarrer