Wort des Tages – Schöpfung

Wort des Tages – Schöpfung

Was ist der Mensch?

Ein Virus macht dem Menschen zu schaffen. Manche sagen: Die Natur rächt sich. Der Mensch hat sich zu viel erlaubt. Corona ist auch eine Gelegenheit, über die Natur, über das Verhältnis von Mensch und Natur nachzudenken. Mir fällt manchmal die Stelle in der Bibel ein, wo berichtet wird, wie Gott den Menschen, nachdem er vom Baum der Erkenntnis gegessen hatte,  aus dem Paradies (Garten Eden) vertrieb und östlich des Gartens Eden die Kerubim und das lodernde Flammenschwert aufstellte, „damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten“. (Gen 3,24) Manchmal denke ich mir, ob nicht die Gentechnik ein Versuch ist, an diesen Baum des Lebens heranzukommen, ob der Mensch da nicht Gefahr läuft, vom lodernden Flammenschwert gestoppt zu werden?

Christliche Sicht der Schöpfung

Das Christentum hat eine neue Sicht der Natur. Vor dem Christentum, im alten Heidentum wurde die Natur zumeist mythisch betrachtet, vielfach mit Göttern identifiziert, man hat die Naturkräfte gefürchtet und durch magische Praktiken zu bannen versucht. Schöpfung und Schöpfer waren irgendwie eins. Der Mensch war zwar irgendwie in den Kosmos eingebettet, aber er hatte Angst vor den Naturkräften.

Das auserwählte Volk der Israeliten hatte eine ganz neue Sichtweise gegenüber den gängigen Praktiken der damaligen Antike. Israel verehrte den einen Gott, den Schöpfer, der die Welt aus Liebe erschaffen hat als ein Gegenüber. Es war der Glaube an einen Schöpfer, der die Welt im Dasein erhält.

Das Christentum hat das mythische Weltbild überwunden, die Sicht Israels noch vertieft und den Schöpfungsauftrag Gottes für den Menschen erkannt. Der Apostel Paulus hat in Griechenland die griechischen Götter, also den Mythos als kraftlos gesehen, aber die Philosophie (die Vernunft, den Logos) bejaht. So hat die Philosophie bis heute im Glauben der katholischen Kirche eine Bedeutung, weil unser Glaube vernünftig ist und in nichts der Vernunft widerspricht. Die Welt war durch das Christentum sozusagen entzaubert worden (Ablöse des Mythos) und die Schöpfung wurde wie ein Garten Gottes betrachtet, den der Mensch als Mitarbeiter Gottes, als sein Ebenbild, mit Vernunft und Glaube pflegen sollte.

Die Welt selbst ist nicht göttlich, aber eine Schöpfung Gottes, auch ein stiller Lobpreis Gottes. Die Natur ist nicht Gott, enthält aber die Spuren des Schöpfers. Die Natur preist Gott in Stille durch ihr Dasein und sie regt den Menschen an, durch ihre Schönheit an den noch schöneren Schöpfer zu denken und ihn zu preisen. Der vernünftige Mensch denkt beim Anblick der Werke an den Meister. Der Christ ist sich seiner Stellung im Kosmos bewusst, er weiß sich auf eine hohe Warte gestellt, indem er die geistige Ordnung des Schöpfers und die in die Natur hineingelegte Ordnung Gottes erkennt, respektiert und danach handelt.

Dabei gibt es eine wichtige Beziehung zwischen dem Menschen und der Schöpfung. Durch die Erbsünde hat das menschliche Dasein einen Bruch erlitten, eine Verwundung, wodurch die ganze Schöpfung in Mitleidenschaft gezogen wurde. Durch die Menschwerdung Jesu Christi, sein Erlösungswerk ist eine gänzliche Heilung möglich. Durch den Glauben kann der Mensch in die Ordnung Gottes eintreten und dies wirkt sich sogar auf die Schöpfung aus.

Zusammengefasst ausgedrückt: Die Sünde zieht die Schöpfung Mitleidenschaft, die Heiligkeit vollendet auch die Schöpfung. So war es in der Geschichte der Kirche immer klar, dass die Menschen bei Seuchen, bei Naturkatastrophen sich besonders an Gott wandten, sie kehrten um, taten Buße und leisteten Sühne für begangene Untaten. In der Liturgie der Kirche werden die Zusammenhänge zwischen Natur und Mensch deutlich z. B. beim Wettersegen, beim Erntedankfest, bei Bittprozessionen usw. Der Apostel Paulus vertieft diese Sichtweise, wenn er im Römerbrief schreibt, dass die Schöpfung seufzt und in Geburtswehen liegt und „sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes“ wartet (Röm 8,19f).

Der Mensch soll als Krone der Schöpfung die Natur pflegen. Wenn der Mensch den Weg der Heiligung (Erlösung) geht, dann wirkt sich das auch auf die Natur aus. Es gibt viele Heilige, die durch ihre Heiligkeit unmittelbar auf Geschöpfe wirkten wie wir dies zB vom Heiligen Franziskus wissen. Davon zeugt auch die Einbeziehung der Schöpfung in der Lobpreis Gottes wie zB im Lobgesang der drei Jünglinge im Feuerofen oder der Sonnengesang des Heiligen Franziskus. Und umgekehrt wirkt sich auch die Sünde des Menschen auf die Natur aus. Auf diese Zusammenhänge hat besonders die Heilige Hildegard aufmerksam gemacht, wenn sie vom Aufschrei der Elemente spricht, die ihre Bahn nicht vollenden können wegen der Sünde des Menschen.

Psalm 8 – Lobpreis auf den Schöpfer

Unsere neue Mesnerin, Schwester Agnes, hat heute bei der Messe nach der Lesung den Psalm 8 gesungen. Ihre begnadete Stimme ließ eine Vorahnung vom Himmel entstehen. In diesem Lobpreis auf den Schöpfer wird zugleich die Stellung des Menschen zu Gott und zur Schöpfung deutlich. Der Psalmist preist Gott, dessen Name gewaltig auf der ganzen Erde ist, der über den Himmel seine Hoheit ausbreitet und fragt, was der Mensch sei, dass Gott an ihn denke, und sich seiner annehme. Und er sagt zu Gott: „Du hast ihn (Anm.: den Menschen) nur wenig geringer als Gott gemacht. Mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn gekrönt.“ (PS 8,6). Der Psalmist besingt Gott weiter mit den Worten, dass er den Menschen als Herrscher eingesetzt hat über das das Werk seiner Hände, dass er ihm alles zu Füßen gelegt hat.

In der letzten Zeit haben mir viele Menschen gesagt: Jetzt erlebe ich die Natur viel tiefer. Man hat den Eindruck, dass die Natur jetzt zur Ruhe kommt, dass sie aufatmet. Sie spüren intuitiv einen Zusammenhang. Ich denke, es ist jetzt auch eine Chance, die Natur wieder als Schöpfung Gottes zu entdecken, wieder zu lernen, durch sie den Schöpfer zu preisen und sich der eigenen Stellung als Mensch bewusst zu werden. Gott mahnt uns durch die Natur zur Umkehr!

Bewahrung der Schöpfung ohne Schöpfer?

Die Umweltzerstörung hat ihren Grund nicht im biblischen Schöpfungsauftrag, sondern in der Abkehr von Gott, im Verlust des Glaubens. Wenn Christen Gott den Rücken kehren, dann erkennen sie auch die Schöpfung nicht mehr in ihrem Wert, dann wird die Schöpfung bloßes Material für den Menschen, dann wird aus der sozialen Marktwirtschaft eine Art neokommunistischer Kapitalismus, der weder die Gesetze der Natur, noch die Ordnung Gottes anerkennt. Wenn der Schöpfer als Person nicht mehr erkannt wird, dann erkennt der Mensch auch sich selbst nicht. Viele, die sich vom Glauben abwenden, landen in der Esoterik oder in einem Neuheidentum, das oft Ähnlichkeiten mit dem alten Heidentum hat.

Die Grünen haben viel für die Schaffung eines Umweltbewusstseins getan. Geradezu tragisch ist jedoch, dass sie die Schöpfung retten wollen, aber zumeist das christliche Schöpfungsverständnis ablehnen.

Die Schöpfung, den Schöpfer und sich selbst neu erkennen

Ich erinnere mich an eine suchende Phase in meinem Leben, wo ich auch irgendwie in die Esoterik hineinschlitterte. Die Gesundheit, Sport usw. waren das Wichtigste, eine Art Ersatzreligion. Ich hatte schöne Naturerlebnisse, fühlte mich irgendwie als Teil der Natur und wollte natürlich auch die Natur retten. Als ich später wieder den katholischen Glauben neu entdeckte, eine persönliche Gottesbeziehung zu entfalten begann und wieder ein Gebetsleben führte, da machte ich die Erfahrung, dass ich nun die Natur noch viel schöner und tiefer erleben konnte. Da ist mir auch der Psalm 8 untergekommen, den ich dann auswendig gelernt habe. Wenn man Gott als persönliches Gegenüber wahrnimmt, dann kann man durch die Schönheit der Schöpfung zum Lobpreis angeregt werden. Der Lobpreis Gottes heiligt den Menschen und gibt ihm eine tiefere Sicht von der Schöpfung.

Ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn man an den persönlichen Gott glaubt und damit an das ewige Leben, dann ist die Gesundheit nicht mehr das Wichtigste, aber gleichzeitig ist man noch dankbarer für sie und man ist sogar besser motiviert, auch dafür etwas zu tun. Wenn man an einen Schöpfer glaubt, der noch wichtiger ist als die Schöpfung, kann man die Schöpfung noch mehr achten und bekommt auch die Kraft, dies zu tun.

Die Macht jedes einzelnen Menschen

Die heilige Hildegard (+1179), die Papst Benedikt XVI. zur Kirchenlehrerin erhoben hat, hat in mystischen Erlebnissen tiefe Zusammenhänge zwischen Gott, Mensch und Schöpfung geschaut. Sie hat einerseits gesehen, wie die Sünde des Menschen die Natur und den Lauf der Geschichte beeinflusst und gleichzeitig den ungeheuren Einfluss des Menschen im Guten geschaut. Sie berichtet zum Beispiel vom erschütternden Aufschrei der Naturelemente über die Taten der Menschen: Diese sagen nach Hildegard: „Wir können nicht mehr laufen und unsere natürliche Bahn vollenden, die Menschen kehren uns mit ihren schlechten Taten von unterst zu oberst und wir – die Luft und das Wasser – wir stinken schon wie die Pest.“ Hildegard spricht schon von der Luftvergiftung, von klimatischen Katastrophen und von schleichenden Geschwüren bei Mensch und Tier und von der Dürre. Nach Hildegard wird das dann sein, wenn die Menschen die Gebote Gottes wie ein unerträgliches Joch abschütteln, weil sie Gott wie einen Tyrannen sehen. Laut Hildegard handelt sich der Mensch durch dieses Entfernen von Gott viele Katastrophen ein. Es ist sehr tröstlich, dass Hildegard auch das Gegenteil sieht. Jeder Mensch hat unglaubliche Möglichkeiten. Der Mensch hat Einfluss auf den Lauf der Natur und die Geschichte. Hildegard schreibt: „Vom Herzen des Menschen geht ein Weg zu den Bau- und Schaltstellen von Kosmos und Geschichte.“ Sie sagte weiters: „Wenn der Mensch sein Herz zu Gott öffnet und es dadurch licht macht, dann wird alles grünen, was dürre ist. Korn und Wein wachsen durch diese geheime Kraft.“

Jeder Mensch hat also durch sein Herz Einfluss auf den Lauf der Welt. Jeder ist verantwortlich für Schöpfung und Geschichte. Diese Worte Hildegards sollen uns ermutigen, gerade jetzt unsere Stellung als Menschen zu erkennen, uns neu Gott zuwenden, unser Herz für seine Gebote und Liebe öffnen, durch Buße, Sühne, um durch die Liebe jeden Tag sozusagen an den Schalthebeln der Weltgeschichte zu sein. Der kleine Virus könnte uns dazu motiveren. Dann brauchen wir ihn nicht mehr zu fürchten.

Euer Dekan

Ignaz Steinwender